Dr. Feddersen-Petersen (siehe diese Webseite/Unterkapitel "Der Paradigmenwechsel in der Wissenschaft"),
eine Koryphäe der vergleichenden Verhaltensforschung, bekannt durch ihre jahrzehntelange Forschung,
zahllose Publikationen, nicht zuletzt durch ihre beiden herausragenden Standardwerke der Kynologie,
"Ausdrucksverhalten beim Hund" und "Hundepsychologie",
hat sich die Zeit genommen ihren "Codex ethicus et ethologius canis",
ihren "Ethisch-ethologischen Kodex zum rechten Umgang mit dem Hunde" neu zu formulieren und
diesen bei einem Seminar in Berlin der Öffentlichkeit vorgestellt.
Der Kodex ist Teil eines Ganzen, das zur Zeit bearbeitet wird.
Mit freundlicher Genehmigung der Autorin darf ich ihn hier einstellen.
Herzlichen Dank dafür.
Berlin im Mai 2019
Codex ethicus et ethologius canis
Ethisch-ethologischer Kodex zum rechten Umgang mit dem Hunde
von
Dr. Dorit Feddersen-Petersen
Mindestanforderungen zur Entwicklung (und zum Erhalt) eines normalen Hundeverhaltens
• Alle Hunde sind sozial kompetent und müssen in der sozialen Gruppe allein oder zu mehreren mit ihren Menschen leben.
• Sie haben von Geburt an das existenzielle Bedürfnis, mit ihren Bezugspersonen eine Bindung und dafür Beziehungen
einzugehen.
• Für ihre gesunde körperliche und psychische Entwicklung ist es dabei notwendig, dass diese Bezugspersonen, Züchter
und dann Hundehalter, auf ihre Beziehungsversuche fürsorglich eingehen, mit Gesten und Worten, was beim Hund zu
Vertrauen in sich selbst und seine Umgebung führt. Welpen lernen so, mit ihren Gesten und Vokalisationen in ihrer
Umgebung eine Wirkung zu erzielen.
• „Selbstwirksamkeit“ (Bandura) - führt (wie in der Entwicklung von Kindern) auch bei jungen Hunden zu Selbstvertrauen
und höherer Frustrationstoleranz.
• Hunde sollten sich in ihren Beziehungen geborgen (beschützt) und anerkannt fühlen. Sie erwerben so soziale
Sicherheit.
• Die existenzielle Bedürfnisse von Kindern sind Anerkennung, Wertschätzung und Beziehung.
Das ist bei Hunden wohl entsprechend.
• Menschen und Hunde sind DIE Sozialpartner.
• Hunde leben mit Menschen, allein oder zu mehreren, und sie müssen lernen, sich flexibel in diese Gruppe einzufügen.
Integration bedeutet dabei einen Gewinn sozialer Sicherheit und Vertrauen. Hunde müssen erzogen werden, also die
Regeln in der Gruppe lernen, um einen verlässlichen Rahmen in ihrem Beziehungsgefüge zu (er)kennen. Dieses ist ein
Teil ihrer Sozialisation. Erziehung ist vertraut mit den sozialen und kognitiven Fähigkeiten des Hundes – und geht
entsprechend auf sie ein.
• Eine Voraussetzung dafür ist, dass die „Sozialisation“ eines Hundes nicht m.o.w. isoliert in Zwingern „verläuft“, vielmehr
ein Welpe bereits in Gruppensituationen eingepasst wird, im Spiel wie im Ernstbezug. Sozialisation ist Einpassung in
Gruppensituationen mit allen Regeln und Ritualen.
• Hunde übernehmen soziale Rollen, sollten Kooperationsmöglichkeiten mit ihren Menschen (und auch mit Artgenossen)
haben, um physisch und psychisch, emotional wie kognitiv, ausgelastet zu sein. Sie zeigen ein ausgeprägtes
Lernvermögen, auch und gerade im sozialen Bereich.
• Hunde verfügen über ein ausgeprägtes Ausdrucksverhalten, die Fähigkeit zur Gestaltwahrnehmung, passend zum
nonverbalen Ausdrucksverhalten des Menschen. Diesen Fähigkeiten ist Rechnung zu tragen.
• Aufzucht von Welpen unter den Gegebenheiten der Zwingerhaltung ist grundsätzlich zu verbieten.
• Die frühe Entwicklung einer stabilen Bindung zum Menschen wirkt sich positiv auf das Sozial- und Explorationsverhalten von Hunden aus und wirkt Verhaltensauffälligkeiten entgegen.
• Ein flexibler Erkundungs- und Bewegungsraum, der gute Explorationsmöglichkeiten bietet und zum Spiel anregt ist obligatorisch (Heine 2000, Lambrich 2008).
• Räumliche Einschränkungen (Zwingerhaltung von Welpen!) oder Haltung von Border Collies z.B. in Stadtwohnungen begünstigen starre Bewegungsfolgen, die sich zu Stereotypien, dem Erlernen einer zunehmenden Selbst-Stimulation mit Abschirmung gegenüber der Umwelt, entwickeln können. Begünstigt werden diese Entwicklungen, wenn sich der Mensch entzieht – kommunikativ und sozial.
• Das Autreten von Verhaltensauffälligkeiten oder -störungen ist bei Hunden in instabilen Bindungen erhöht.
• Spiel und Erkunden dienen hundlichen Lernprozessen und befriedigen letztendlich das Beschätigungsbedürfnis des Hundes – zumindest bis zu einem gewissen Grad.
• Allerdings ersetzen Objekte und Spielzeuge kaum das Sozialspiel mit dem Menschen. Eine strukturierte Umwelt bzw. ein reichhatiges Spielzeug-Angebot darf daher nicht als „Ersatz " für menschliche Zuwendung missverstanden werden.